Diese 'Romeo und Julia' bleiben im Ged?chtnis

Ibbenb?rener Volkszeitung vom 12. September 2002

Wilm Froese. Ibbenb?ren. Ganz sicher wird die mit einiger Spannung erwartete Inszenierung des Quasi So-Theaters der VHS von Shakespeares "Romeo und Julia" im Ged?chtnis bleiben. Und das nicht, weil weder Romeo noch Julia bei der Premiere am Mittwoch abend im entscheidenden Moment das Messer finden konnten, so dass Romeo den Tybalt erw?rgt, Julia aber sich durch Gift aus der angeblich leeren Flasche ums Leben bringen muss.

Die blitzschnelle Reaktion von Paul Hohenhaus und Manuela Schmiemann kr?nte nur eine hervorragende schauspielerische Leistung. Hohenhaus strahlt so verliebt, Julia leidet so von innen, dass man die Floskelhaftigkeit ihrer Worte kaum wahrnimmt. Damit werden sie Shakespeare wohl gerechter als der ?bersetzer Erich Fried. Der billigt allen Figuren eher Rollenattit?den als Gef?hle zu und sieht sie als Funktionen ihrer Situation. Das spiegelt sich in den schlicht-elegant stilisierten Kost?men von Barbara Sibylle Heberle, die die Gruppenzugeh?rigkeiten durch die Farbgebung herausstellt, die Individualit?t durch den Schnitt und die Kopfbedeckung.

So f?llen denn auch die anderen Schauspieler ihre Klischees aus und betonen so die Sonderstellung des ber?hmtesten Liebespaares der Welt. Dabei leisten die jungen Leute Beachtliches, indem sie ihren Figuren trotzdem Leben einhauchen. Peter Tombrink macht als giftiger Prinz von Verona kaum kaschierte Grausamkeit deutlich. Henning Str?bbe gibt dem Gruppenclown Mercutio ein fast verzweifeltes Bem?hen um Aufmerksamkeit, Patrick Sohrt als Freund Benvolio ist dagegen der in sich ruhende Fluchtpunkt der Clique um Romeo. Hauke Holtkamp als Tybalt gibt den kampfesl?sternen Macho, w?hrend Jonathan Wa?muth es mit K?rpersprache fast ohne Text fertig bringt, den Feigling zu zeigen, der den Macho spielt.

Die Eltern von Romeo und Julia, die verfeindeten Montagues und Capulets, werden von Christoph Hergem?ller, Birgit L?cke, Radulf Beuleke und Hannelore Berk als Figuren gespielt, die Rollenspiele betreiben. Hass und Vers?hnung sind ohne Ursache, Einsicht in Schuld gibt es nicht. Auch nicht bei den beiden Figuren, die das Spiel in Gang halten, Julias Amme und Pater Lorenzo. Verena L?cke kann sich leider nicht zu einer in sich logischen Darstellung entschlie?en, wohl auch, weil die Kom?diantin in ihr auf Publikumsreaktionen sofort anspringt. Dagegen gibt Klemens Hergem?ller dem Pater das Gewicht und die Pers?nlichkeit, die das Vertrauen aller rechtfertigt.

Das ganze Geschehen konzentriert sich in der Regie von Jens Dierkes-Kuper auf eine Spielfl?che aus einem dekorationslosen Kreuz von zur Mitte hin ansteigenden Podesten im Zentrum der als Zuschauerraum genutzten B?hne des B?rgerhauses. Das Publikum sitzt um diese B?hne herum. Was der Regisseur an Arbeit geleistet hat, damit seine Darsteller sich nach allen Seiten ?ffneten, und das so elegant, dass die Richtungs?nderungen wie zuf?llig wirkten, ist kaum hoch genug einzusch?tzen. ?berhaupt war die Bewegungsregie exzellent. Nicht minder au?ergew?hnlich gut war die sprachliche Ausgestaltung. Dass durch die Betonung neue Zusammenh?nge hergestellt werden konnten, verdanken Regisseur und Spieler wohl auch der Sprecherziehungsarbeit von Christel M?ller.

Bei diesen Voraussetzungen kann man die Regie wohl verstehen, wenn sie auf keinen Satz des gro?en Textes verzichten mochte. Und gerade das w?re bitter n?tig gewesen, nicht nur, um die Auff?hrung nicht erst kurz vor Mitternacht enden zu lassen. Denn der ?bersetzer Erich Fried versucht zwar, die beiden f?r die Trag?die zentralen Szenen zu sch?rfen, legt sich aber nicht von sich aus fest, ob Zufall oder Schuld die beiden Wendepunkte bestimmen. Da ist die t?dliche Schl?gerei zwischen den Jugendlichen der zerstrittenen Familien. Dierkes-Kuper lie? Mercutio ungehemmt schwadronieren, so dass sein Duell mit Tybalt zwar eher beil?ufig passierte, aber weil der schon fast Tote immer noch redete, war Romeos Rache an Tybalt schlie?lich keine Affekthandlung mehr, von klassisch-tragischer Verstrickung ganz zu schweigen. So gelungen diese Szene f?r sich war, im Gef?ge des St?cks fehlt es ihr an Entschiedenheit.

In der anderen Szene hat der Regisseur sich zwar f?r das Walten des Zufalls entschieden und selbst die Rolle des Werkzeugs der F?gung, des Trottels Bruder Johannes, ?bernommen. Da Fried aber so scharf betont, dass Romeo und Julia ordnungsgem?? verheiratet sind und die Lerche ihre Hochzeitsnacht beendet, scheint das ganze Spiel mit Scheintod und Wiedersehen in der Gruft angesichts der das Recht der Ehe wohl durchsetzenden Figur des Prinzen ?berfl?ssig und im Text aus Pater Lorenzos Spa? an der Intrige geboren. Diese Komponente fehlt aber mit gewissem Recht Hergem?llers Auslegung der Figur. Also h?tte die Regie f?r Ausgleich durch Textstreichung sorgen m?ssen.

Die fehlende Arbeit mit dem Rotstift h?tte diese sonst handwerklich ?beraus gelungene Regiearbeit vielleicht auch retten k?nnen vor den Br?chen in der Stilebene. Ist das Fest bei den Capulets noch auf expressionistisch durchgestaltete Ausdruckssprache reduziert, so gehen das Jammern um den jeweils verloren geglaubten Partner oder das Klagen am Totenbett der Liebenden von Verona in expressiv ausgelebter Darstellung bis in die N?he von Titanic-Schwulst. Und wenn dann echte Rosenbl?tter vom B?hnenhimmel regnen, bleibt die Entt?uschung, dass die gro?e Leistung aller Beteiligten nicht durch ein gro?es Ergebnis belohnt wurde.