Macht und Liebe

Ibbenb?rener Volkszeitung vom 12. September 1998

Wilm Froese. Ibbenb?ren. Als "Staatstheater" hat das QUASI SO-Theater der Volkshochschule Albert Camus' Schauspiel "Caligula" inszeniert, dem am Donnerstag abend im  B?rgerhaus etwa hundert Premierenzuschauer beiwohnten. Das Staatswesen, dem der Kaiser Caligula vorsteht, spielt sich wie auf einer B?hne ab, mit dem Caesar als Hauptdarsteller, einigen Nebenfiguren, die eigene Gedanken ?u?ern, sowie der politischen Kaste der Senatoren, als Akteure und Zuschauer gleichzeitig. Was in einem vielschichtigen und bedeutungsvollen B?hnenbild von Tim Rikeit so prunkvoll erscheint, ist dennoch ein Kammerspiel, in das die Au?enwelt nur vom H?rensagen eindringt.

Dabei ist diese Welt entsetzlich, denn Caligula, dem Manfred Hagemann eine geradezu sympathische Aura verleiht, l?sst willk?rlich morden und foltern und nennt das Erziehungsprozess. "Alle sind gleich wichtig, also ist niemand wichtig", l?sst der franz?sische Philosoph Camus den Kaiser sagen.

Den Senat interessiert nur, dass da jemand die gewohnte Ordnung und also ihre Ruhe st?rt. Das f?hrt zum Mordkomplott unter der F?hrung von Cherea, dessen Sonderstellung Udo Eickelmann mit ganz wenigen Mitteln zeigt. Einzig der Dichter Scipio (Michael Kneisel) h?lt sich heraus, obwohl nur er wirklich Erfahrung mit dem Leid hat.

Der junge Regisseur J?rg Welke l?sst das St?ck trotz Marmors?ulen und Lorbeerkranz nicht im klassischen Rom spielen, sondern in einer vagen Moderne, wie es Camus auch gemeint hat. So stellt sich heraus, dass mit Caligula weder der historische Kaiser noch - sicher schon im Erscheinungsjahr 1942 eine Fehlinterpretation - Adolf Hitler "gemeint" ist, sondern jeder, bis in die unmittelbare Gegenwart, der Macht will oder hat, zu keinem anderen Zweck, als die Macht zu haben.
Ihr Gegenpol ist die Liebe in fast jeder menschlichen Form, von der verzweifelten Inzest-Liebe Caligulas zu seiner toten Schwester Drusilla ?ber den Sex mit Caesonia (eiskalt Anne Geschwinder) bis zur Ergebenheit des Freundes Helicon (Hans-G?nter Schwarze-Be?ler, etwas zu isoliert). Der sogenannten wahren Liebe ist allerdings niemand f?hig, weshalb auch niemand aus Caligulas Ideen, Fehlern und Schicksal lernen kann.

Auch nicht der Zuschauer, dem J?rg Welke teils eindrucksvolle Bilder pr?sentiert (da Vincis "Abendmahl" mit vielen Verr?tern etwa), mindestens aber eine gelungene Raumaufteilung. Daf?r vermeidet er, die vielen Aphorismen und Merks?tze im Text als solche hervorzuheben. Die waren Camus vermutlich so wichtig, dass der Theatermann dem Philosophen den Vortritt lie?. Welke aber setzt, und wohl mit gutem Recht, auf Theaterspiel. So gelang ihm, trotz einiger Unzul?nglichkeiten in Sprache und B?hnenpr?senz, ein in sich geschlossener und selbst bei ?ber zwei Stunden Dauer mitdenkw?rdiger Theaterabend.

Das Premierenpublikum spendete Regisseur und Schauspielern langen Beifall. Weitere Auff?hrungen sind f?r den 12., 13., 18. und 19. September geplant.