Eine reizvolle Zumutung

Ibbenb?rener Volkszeitung vom 24. November 2007

Dieter Michel. Ibbenb?ren. Mit A. R. Gurneys "Love Letters" von 1988 hatte sich das Quasi So-Theater am letzten Donnerstag etwas Besonderes vorgenommen. Jutta und Klaus-Peter Lefmann gaben ein Paar der amerikanischen High Society, das seine vertrackte 50-j?hrige Beziehungsgeschichte auf der B?hne ausschlie?lich ?ber die Verlesung von Briefen vermittelt.

Das war in dem Sinne eine Zumutung f?r die beiden, als sie sich trauten, fast nur ?ber die anspruchsvolle Rezitation ihre gut 80 Zuschauer zu fesseln. F?r das sehr gemischte Premierenpublikum bestand die Zumutung umgekehrt darin, sich gut zwei Stunden lang darauf einzulassen. Dieser Herausforderung, im Theater prim?r durch Zuh?ren Bildhaftigkeit entstehen zu lassen, stellte sich das Publikum gern, wie nicht nur der herzliche Schlussapplaus signalisierte. Hatten es doch die zwei geschafft, ihren Figuren durch hohe Einf?hlsamkeit, durch gr??tenteils dezent, aber wirkungsvoll eingesetzte Mimik und Gestik, vor allem aber durch eine h?chst ?berzeugende Sprechtechnik eine beeindruckend intensive B?hnenpr?senz, und das auf der f?r ein solches Kammerspiel eigentlich zu gro?en Schauburgb?hne, zu verleihen.

Inwiefern die Geschichte selbst, die sich aus unz?hligen Details des Lebensweges von zwei unbek?mmerten Teenies zu reichlich desillusionierten Mitf?nfzigern erschlie?t, nicht doch unsere Klischees von den (amerikanischen) Reichen verst?rkt, bleibe dahingestellt. Unstreitig dagegen war die Kurzweiligkeit mit gro?em Unterhaltungswert dank sehr gediegener Regieleistung K.-P. Lefmanns, die sich auch dem Konzept verdankte, mit ?ber 40 zeitgen?ssischen kurzen, h?ufig an allj?hrliche Weihnachtsgr??e gebundenen Musikeinspielungen dem Publikum ein betr?chtliches eigenes Assoziationspotenzial zu er?ffnen und ganz bewusst auf echte Rezitation mittels Textvorlage, statt z.B. eigens angefertigten "Briefen" zu vertrauen.

Pr?gten den 1.Teil - neben anf?nglichem offensichtlichem Lampenfieber - noch ?berwiegend humorvolle Elemente mit k?stlicher dialogischer Reaktion, verdichtete sich im 2.Teil sowohl die Anspannung des Duos als auch des Publikums, wozu vor allem auch das sehr gekonnte pointierte Nichtantworten der beiden auf unliebsame Briefe als auch die gl?nzend veranschaulichte F?higkeit, emotionale Gegens?tze stimmlich zu modulieren, beitrugen. ?beraus hautnah vermittelte n?mlich dieser eher biedere Andy im Vortrag seiner Briefparts gleicherma?en egozentrische Selbstbespiegelung eines Erfolgsmenschen wie gef?hlsm??ige Zerrissenheit zwischen Pflichten und Neigung. Dass er dabei gelegentlich zu wenig dem Text und der eigenen guten Intonation vertraute und der "Schauspieler" mit expressiver Gestik mitwirkte, ist sicherlich auch dem beachtlichen Konzentrationsanspruch ?ber zwei Stunden geschuldet.

Von der Rolle her gefordert, aber eben auch ?berdurchschnittlich eindringlich und facettenreich eingebracht wurde von J. Lefmann eine Melissa, deren finanzielle Unabh?ngigkeit keineswegs Hauptursache ihrer z?gellosen Extrovertiertheit und Ziellosigkeit ist. In beeindruckender Authentizit?t gelingt der Protagonistin etwa der stimmliche Wandel vom noch unbek?mmerten Teenager zur in Alkoholexzesse fl?chtenden Suizid-Gef?hrdeten, deren brieflichem Betteln um "mehr als Freundschaft" der Erfolg versagt bleibt.

"Ich habe eine wundervolle Frau, reizende Kinder und eine Stellung in der Gesellschaft, auf die ich stolz bin, aber Melissas Tod hinterl?sst eine tiefe L?cke in meinem Leben", bekennt Andy am Ende. Erheblich zu kurz griffe da die Frage, ob ihm nicht nur eine, wie man sie fr?her nannte, M?tresse fehlt(e). Den Hochgenuss dieser aparten szenischen Lesung ?ber eine lebenslang "sehr komplizierte Beziehung" sollte man sich nicht entgehen lassen. Gelegenheit dazu besteht noch heute Abend, 20 Uhr, in der Schauburg.