Statt "Superstar" im TV lieber "Creeps" im Ibbenb?rener B?rgerhaus

Ibbenb?rener Anzeiger vom 14. Februar 2003

Dieter B?hre. Ibbenb?ren. Das Wort "creeps" kommt aus dem Englischen und benennt das Gruseln, wenn sich schleimige Kriechtiere n?hern. "Creeps" wird "Krieps" ausgesprochen, mit "i", wie Zicken oder hippes Livestyle-Magazin. "Creeps" ist der Name eines Theaterst?cks des Erfolgsautoren Lutz H?bner ("Das Herz eines Boxers"), das er als Auftragsarbeit f?r das Festival "100 x Theater f?r Kinder- und Jugendliche" am Hamburger Schauspielhaus geschrieben hat. Im April 2000 war Premiere, "Creeps" ist seitdem Dutzende Male an renommierten deutschen B?hnen gespielt worden. Das Quasi-so-Theater der Volkshochschule hat mit "Creeps" einen unversehens brandaktuellen Stoff nach Ibbenb?ren geholt. Creeps k?nnte der Blick hinter die Kulissen von Gnadenlos-Shows wie "Superstar" oder der allnachmitt?glichen Seelenstriptea-ses im TV sein. Am 20. Februar ist Premiere, der Anzeiger besuchte eine der Proben.

"Creeps" ist ein Blick in eine Welt, in der kalt kalkulierende TV-Produzenten das Seelenheil junger Menschen verheizen aber daf?r letzten Endes eins in die Fresse bekommen, zwar symbolisch, aber durchaus mit einem gewissen Charme und deshalb umso wirkungsvoller. Drei junge M?dchen, zwischen 16 und 18 Jahren, werden vom Lifestyle-Magazin eines TV-Musiksenders eingeladen. Sie haben sich als letzte in einem Wettbewerb um einen Moderatorenjob durchgesetzt und sollen sich zur endscheidenden Abschlussrunde vorstellen. Im Studio zieht die k?rperlose Stimme eines Arno (Klemens Hergem?ller) die F?den. Aus dem Hintergrund, unsichtbar, gibt er Regieanweisungen und Kommentare, dabei zuweilen nicht einmal unsympathisch, und das macht's umso perfider.

"Macht euch locker", "ihr seid Spitze", "der groove geht ab" oder so ?hnlich t?nt es aus dem Lautsprecher. Vor Arnos Kamera konkurrieren die drei um ihren Traumjob in der Musik-Show "Creeps". Da ist die liebe Petra (Franziska M?ller), ein harmonies?chtiges Blondschopfm?del aus Chemnitz, das mit gro?en Kulleraugen - sichtlich bem?ht - immer nur das Beste will. Aus Hamm bei Dortmund kommt die blasse Maren (Anna Lefmann), die durch und durch idealistisch ist und aktiv f?r den Umweltschutz arbeitet. Beider Konkurrentin ist Lilly (Susanne Scharbau), das verw?hnte Wohlstandsgirl der Viva-Generation aus Hamburg. H?bsch, intelligent aber kaltschn?uzig, aber vielleicht mit weichem Kern. Alle drei verk?rpern Prototypen der derzeitigen Jugendkultur, die sie ?berzeugend darstellen.

Sie k?mpfen ganz offensichtlich nicht nur gegeneinander, sondern auch gegen Kr?fte in ihrem Inneren, die durch den Psychostress freigelegt worden sind: Sehnsucht nach Liebe, Anerkennung, Unsicherheit, Selbstzweifel. Die Spitze des Eisbergs ist erreicht, als Maren eine Pr?gelei anzettelt. W?hrend sie versuchen, sich gegenseitig zu ?bertrumpfen, auszutricksen und manchmal richtig fertig zu machen, merken sie nicht, dass sich hinter den Kulissen etwas zusammenbraut, das sie nur gemeinsam bew?ltigen k?nnen. Die drei jungen Frauen lassen ihre Seelen verletzen, erniedrigen sich vor dem unsichtbaren Regisseur und stellen am Ende fest, dass sie betrogen wurden. Sie wurden gnadenlos manipuliert zum "Zickenkampf" getrieben und sollten mit ihrer Unbedarftheit die "Quote toppen". Ihr Auftritt war von vornherein nur f?r den Vorspann einer Show gedacht.

Dann bricht das Eis, die Masken fallen. Die drei verb?nden sich gegen den verlogen blubbernden Arno, der nun Objekt am?santer Beschimpfungen wird. Die Botschaft ist unverkennbar: Menschlichkeit siegt ?ber die Marktinteressen, die Jugendliche als Werbematerial verheizen. Man sieht: "Creeps" ist erfreulicherweise ein "nur vor?bergehend von ?rtlichen Parasiten hervorgerufener Kribbelzustand und weitgehend ungef?hrlich" - wie das medizinische Lexikon von Hoffmann La Roche beschreibt. Wie sch?n!

F?r Henning Str?bbe und Peter Tombrink ist es die erste Regiearbeit. Sie lassen ihren Darstellern 90 Minuten Zeit, andere B?hnen haben den Stoff zu 75 Minuten gestrafft. Erstmals wird massiv anspruchsvolle Medientechnik eingesetzt, das bringt Spannung: Mit einer Kamera werden die Auftritte der drei jungen Frauen aufgezeichnet und auf eine Studioleinwand ?bertragen.
Und sie wollen zum Erfolg beitragen: Petra: Franziska M?ller, Maren: Anna Lefmann, Lilly: Susanne Scharbau, Arno (Off-Stimme Castingleiter): Klemens Hergem?ller, Inszenierung und B?hnenbild: Henning Str?bbe und Peter Tombrink, Kost?mbild: Natalja Reilan und Franziska M?ller, Video- und Schnitttechnik: Rainer M?ller und Imke Strothmann, Kamera: Markus Maisner, Tontechnik: Carolin Lauerer, Technische Einrichtung und Durchf?hrung: Volker H?ntemeyer und Tim Rikeit, Soufflage: Lena Str?bbe, Grafisches Design Logo/ Plakat: Klemens Hergem?ller. Auff?hrungstermine sind: 20. bis 23. Februar, 28. Februar und 1. M?rz.