Standing Ovations f?r Quasi So-Truppe nach einer gelungenen Premiere

Ibbenb?rener Volkszeitung vom 25. M?rz 2001

Annette Kleinert. Ibbenb?ren. Einen neuen Triumph feierte das Quasi So-Theater der VHS am Mittwochabend im Foyer des B?rgerhauses. Die Premiere von "Pterodactylus", dem Spiel "um Leben und Tod" von Nicky Silver, bot alles, was Theaterfreunde sich ertr?umen: Spannung, Unterhaltung, Tiefgang, Action. Auf fast leerer B?hne und ohne Requisiten forderte die Auff?hrung sowohl von Akteuren als auch vom Publikum, sich intensiv in die Geschichte hineinzudenken.
Um Verdr?ngung von Problemen geht es in "Pterodactylus": Familie Duncan lebt in einer Scheinidylle. Vater Arthur ist ein scheinbar erfolgreicher Bankdirektor, Mutter Grace managt scheinbar m?helos Haushalt und Familie, und das naive T?chterchen Emma verlobt sich. Sehr schnell wird jedoch deutlich, wie falsch das Weltbild der Duncans ist, wie sie sich selbst st?ndig bel?gen. Die Scheinwelt der Duncans hat keine Zukunft - wie einst die Dinosaurier, zu denen auch die Gattung Pterodactylus z?hlte.

An Emma Duncan zeigen sich die Folgen der Verdr?ngung von Problemen besonders krass, denn sie "funktioniert" keinesfalls mehr perfekt: Die teils kindisch-verspielte G?re, teils zickige Hypochonderin steuert unaufhaltsam auf ihren Selbstmord zu. Die Flucht in den Tod ist die letztlich erfolgreichste Form der Verdr?ngung! Auch ihr Verlobter Tommy h?lt den Anschein eines normalen Lebens lange verzweifelt aufrecht. Die Erniedrigungen, die er im Dienst der Familie hinnimmt, ?bertreten alle Grenzen. Seine homosexuelle Liebe zu Emmas Bruder Todd, die ihn zu sich selbst zur?ckf?hren k?nnte, bringt auch ihm den Tod.

Todd Duncan, der aidskranke Sohn, ist der Dreh- und Angelpunkt des St?cks. Der HIV-Positive konfrontiert alle Familienmitglieder mit ihren Grenzen, den realistischen von Leben und Tod und den durch ihre egoistische Oberfl?chlichkeit selbst geschaffenen. Todd, der ausspricht, was er denkt, schafft unertr?gliche Situationen. Eltern, Schwester und Liebhaber erkennen in ihm ihre eigenen L?gen und aussichtslose Lage. Ihre Konsequenzen sind ebenso individuell wie erfolglos, was eine wirkliche L?sung ihrer Probleme angeht: Emma erschie?t sich und erlebt erst im "Paradies" ihre wahre Liebe.
Tommy infiziert sich mit dem HIV-Virus und stirbt, Vater Arthur verliert Stellung und Verstand und verl?sst schlie?lich die Familie. Mutter Grace trinkt ihren "Scotch" jetzt in aller ?ffentlichkeit; sie zerbricht daran, dass sie allm?hlich die ausweglose Realit?t sieht. Und Todd, der Aids hat, ?berlebt sie alle - als Einziger, der wirklich in der Realit?t lebt und sich ihr bewusst stellt.
Schwere Kost f?r das Publikum? F?r alle, die sich der Problematik ?ffnen wollen, sicherlich, doch geht das Ganze mit tiefschwarzem Humor und rasanten Dialogen einher, was die Risiken und Nebenwirkungen zun?chst zu verringern scheint. Die bravour?se darstellerische Leistung aller Akteure am Mittwochabend ging zus?tzlich unter die Haut: Allen voran Henriette Mudrack: Sie zeigte eine naive, zickige Emma Duncan, ?berdreht und immer im richtigen Moment kindlich, "krank" oder gar "taub", immer glaubhaft lebensunt?chtig. Sie h?pft und w?lzt sich, hat unglaubliche M?glichkeiten der Mimik und der Stimme, wirkt so locker-leicht bei allem, dass die Oberfl?chlichkeit der naiven Tochter auch in der Gestik zum Ausdruck kommt. Peter Tombrink bot als Tommy McKorckle ebenfalls eine Glanzleistung: als sch?chtern-verklemmter Verlobter, als umwerfendes Dienstm?dchen im "kleinen Schwarzen" und als verzweifelt Verliebter, der seine gro?e Liebe zu sp?t entdeckt.

Immer blieb den Zuschauern das Lachen im Hals stecken, waren sie gefesselt und mitgerissen von Tombrinks Spielweise. Michael Kneisel alias Vater Arthur hatte es schwer, seinen darstellerischen Stand in dieser tollen Truppe zu behaupten, denn die Rolle gab zun?chst nicht so viel her wie die anderen Charaktere. Mit Jutta Lefmann als Grace Duncan steht und f?llt das St?ck. Als immer nur ansatzweise funktionierende Mutter, Ehefrau und Gastgeberin st?ckelt sie geziert ?ber die B?hne, kanzelt Freundinnen und Familie ab und ?bert?nt stimmlich die Familienmitglieder, wann immer sie will. Als betrunkene Grace, die zum Schluss mit wirrem Haar und teilweise klarem Verstand die Zusammenh?nge erahnt, jagt Jutta Lefmanns Ausdruckskraft den Zuschauern Schauer ?ber den R?cken.

Henning Str?bbe hat mit der Rolle des Todd den Part dessen, der zwischen Familie und Realit?t steht. Er ?berwindet unmenschliche Grenzen auf seinem Weg in die pers?nliche Freiheit, die letztlich auch ihn in den Tod f?hrt. Wann immer er agiert, beherrscht er durch seine ?berzeugende Mimik und Gestik Familienmitglieder und Publikum: Henning Str?bbe ist in seiner Rolle ?ber alle Klischees hinausgewachsen, erzeugt G?nsehaut, Angst - und Begeisterung. Viele "Vorh?nge" und Standing Ovations gab es nach dieser Premiere. Das Pterodactylus-Erlebnis im Ibbenb?rener B?rgerhaus gibt es noch ?fter: heute Abend, am 24., 25. und 31. M?rz sowie am 1., 6., 7. und 8. April.