Unnachgiebige Tradition

Quasi Jugend führt in der Schauburg „Frühlings Erwachen“ auf

Von Annette Kleinert

Ibbenbüren. Misst sich gute Unterhaltung daran, wie schnell die Zeit vergeht, oder wie lange uns Gedanke und Anstöße fesseln? In jedem Fall war die Premiere von Quasi Jugend mit Frank Wedekinds „Frühlings Erwachen“ am Donnerstagabend gelungen. Die muntere Truppe, die sich erst 2009 zusammenfand, zeigte unter der Regie von Tobias Schindler eine gelungene Leistung und brachte manches beachtliche Talent auf die Bühne.

Das konsequente Konzept von Quasi So, dem Theater der VHS, das ausschließlich von Jugendlichen geleitet wird, geht auf. Das Zusammenspiel, die „nebenbei erledigte“ Umbauarbeit am Bühnenbild, die Choreographie der Massenszenen, die temperamentvollen Abgänge ließen eine gut durchdachte Planung erkennen und gaben allen Mitwirkenden die Chance zur Geltung zu kommen. Es ist kaum zu glauben, dass „Frühlings Erwachen“ erst die zweite Inszenierung von Quasi Jugend ist.

Moritz Stöttner gab als Melchior einen glaubhaft an seiner Zerrissenheit zerbrechenden, reifenden Menschen. Vor allem Leonie Plaar als Wendla und Derek Strotmeier als Moritz belebten und beherrschten das Stück in ihren Hauptrollen von Beginn an bis zum Schluss. Zuschauerstimmen in der Pause lobten auch die „Austauschbarkeit“ der Erwachsenen, die der Regisseur durch die kreative Gestaltung der wandelbaren Yvonne Grüner und des vielseitigen Ansgar Kuper wunderbar demonstrierte. Die Todesengel belebten das Stück als „Gothics“ wunderbar souverän mit ihrem „Totentanz“ der Selbstmordszene und dem „Tanz der Vampire“ der Abtreibung.

Wie ein roter Faden ziehen sich Andeutungen und Zitate aus Goethes „Faust“ bis hin zur Gretchenfrage durch das Stück, was die universelle Gültigkeit des einen wie des anderen Stoffes untermauert. Was vielleicht auch Pessimisten zu der Überzeugung bringt, dass sich sowieso nie etwas ändert. Wie der tote Moritz in der Friedhof-Szene klarstellt: „Alles Dummheit, was die Menschen tun!“ Kinder und spätestens pubertierende Jugendliche führen den Eltern die eigene Unzulänglichkeit vor Augen. Wedekind hinterfragt drastisch, wer der reifere, bewusstere Mensch ist, Tochter oder Mutter, Sohn oder Vater. Aus Respekt und Toleranz warten Jugendliche und Erwachsene in „Frühlings Erwachen“ vergeblich sehnsüchtig. Verlogenheit, Gewalt und Züchtigung setzen allen enge Grenzen.

In der heute fremd und steif wirkenden Sprache wird die verhärtete, unnachgiebige Tradition so genannter bürgerlicher Werte deutlich, an der die Charaktere des Stücks zerbrechen. Gleichzeitig wirkt Wedekinds Sprache wie eine Kunstform, mit der eine Distanz zur unauflösbaren Tragik des Geschehens aufgebaut werden kann.

Die nächsten Termine der Aufführung in der Alten Sparkasse: Heute um 16 Uhr und morgen um 20 Uhr.