Man kichert und prustet - und darf eigentlich gar nicht lachen

Ibbenb?rener Volkszeitung vom 03. M?rz 2007

Marianne Laun. Ibbenb?ren. Ibbenb?ren. Es gibt Theaterst?cke, die sind trotz eines h?sslichen Themas und entlarvender Inhalte in gewisser Weise bequem, weil man sich distanzierend, diskutierend und evaluierend so herrlich ?ber die dargestellten "Anderen" echauffieren kann. Nicht so die Groteske "Fette M?nner im Rock" von Nicky Silver, mit dem das Quasi SoTheater am Donnerstag in der Schauburg Premiere feierte. Bei dem St?ck, das zu jenen geh?rt, die jede Menge Fragen aufwerfen, aber eigentlich keine Antworten geben - wie soll man das Unerkl?rliche auch erkl?ren - sind diverse Schwerpunktsetzungen seitens der Regie denkbar. Man k?nnte den moralischen Zeigefinger erheben und die Frage nach der Schuld der einzelnen Figuren in allen Details in den Vordergrund stellen, und das Publikum k?nnte sich zur?cklehnen und einfach "nur" mitdenken.

Klemens Hergem?ller (Regie) und Meike Weber (Regieassistenz) wollten es aber subtiler und beraubten mit ihrer Inszenierung das Publikum der M?glichkeit, sich zu entziehen und sich ?ber die Figuren zu stellen, indem sie die psychologische Dimension zwar deutlich machten, dabei aber den Aspekt des St?ckes betonten, der das Publikum kichern, lachen, sogar vor Belustigung prusten l?sst, bevor es merkt, dass es doch eigentlich gar nicht lachen d?rfte. Eigentlich. Warum am?sieren wir uns so k?stlich ?ber den behinderten Elfj?hrigen, der von seiner dominanten Mutter schikaniert wird, ?ber die aalglatte Frau mit einem Spleen f?r Schuhe, die ihrem Sohn befiehlt, Leichen zu zerst?ckeln oder zu morden? Warum lachen wir herzlich ?ber die hohlk?pfige Ex-Porno-Darstellerin, die ein egoistischer Ehemann in sein Haus holt und die dort auch bleibt, als Frau und Sohn als einzige ?berlebende eines Flugzeugungl?cks und nach f?nf Jahren auf einer Insel heimkehren?

Sind solche Eigenschaften bei jedem von uns latent vorhanden? Gerade so etwas wie Sex mit der eigenen Mutter bzw. dem eigenen Sohn, das genussvolle Verspeisen t?dlich verungl?ckter Mitreisender oder gar Mord sollte doch Entr?stung hervorrufen. Mancher mag glauben, solch krankhaften Beziehungen wie die zwischen Phyllis (Jutta Lefmann) und ihrem Sohn Bishop (Andre Rulofs) gebe es kaum? Kannibalismus gebe es nur noch auf Borneo? Die Nachrichten haben uns in letzter Zeit eines Besseren belehrt: Der Lack der Zivilisation ist sehr d?nn! Und wenn alles, was uns Silver hier vor Augen f?hrt, nach unseren Vorstellungen wirklich so geschmacklos und emp?rend, ja kriminell ist - warum lachen wir dann? Unwillk?rlich erf?hrt das Lachen einen Aussetzer, um kurze Zeit sp?ter wieder einzusetzen.

Die vier hoch motivierten und sehr enthusiastischen Darsteller sorgten mit ihrem ausgelassenen und zugleich hoch konzentrierten und kontrollierten Spiel f?r zwei Stunden bester Unterhaltung in einem fein ausbalancierten Mix aus Komik, Zynismus und Ernst. - Infolge pr?ziser und konsequenter Regiearbeit und sehr ?berzeugender schauspielerischer Leistungen gelang es den Akteuren, die vielen Extremsituationen und irrwitzigen Dialoge sprachlich und darstellerisch auf die Spitze zu treiben, ohne die Grenze zur Plattheit oder Geschmacklosigkeit jemals zu ?berschreiten. Rulofs Darstellung des behinderten Bishop, der sich nach und nach geradezu in ein (nicht behindertes) Monster entwickelt, beeindruckte in hohem Ma?e. Die Art und Weise, wie er die Entwicklung des von den Eltern vernachl?ssigten und ungewollten Sohnes pr?sentierte, war durch und durch glaubw?rdig. Man nahm ihm zu jeder Zeit seine Rolle ab. Jutta Lefmann war wieder einmal in ihrem Element und zog versiert alle Register der Schauspielkunst. Locker und sekundenschnell fiel sie von einer Gem?tsverfassung in die andere, war mal (scheinbar) liebevolle Mutter, arrogante Spie?erin, betrogene Frau und vieles mehr. Schwarze wirkte in der Darstellung des charakterlich schwachen, aber eitlen und sexbesessenen Ehemanns vielleicht zeitweise ein wenig zu weich, doch die Rolle des distanzierten und beobachtenden Psychiaters mit rein klinischem Interesse an den seelischen Abgr?nden seiner Patienten war ihm auf den Leib geschrieben. Anna Lefmann in ihrer Doppelrolle als Geliebte und Irre Popo Martin bestach mit sehr starker B?hnenpr?senz und hinrei?endem Spiel. Als schizophrene Mitpatientin Bishops lenkte sie mit frappierender Komik und herausragender K?rpersprache sogar fast schon alle Aufmerksamkeit der Zuschauer auf sich.

Das bewusst schlichte B?hnenbild, die schwarz-wei?en Kost?me und die st?ndig farblich wechselnde Beleuchtung unterstrichen die rasanten Stimmungswechsel und die verschiedenen Darstellungsebenen aufs Beste. Lang anhaltender Applaus, begeisterte Pfiffe und Jubelrufe waren der hoch verdiente Lohn f?r diese sehr mutige und ?u?erst gelungene Vorstellung.