Hamlet r?ckw?rts

Westf?lische Nachrichten vom 20. August 1999

Antje Kahle. Ibbenb?ren. 37 St?cke in zwei Stunden? Mit nur drei Schauspielern? Alle, die ein solches Vorhaben f?r unm?glich hielten, belehrte die Truppe des QUASI SO-THEATERS eines Besseren. Sie brachten am Mittwochabend "Shakespeares s?mtliche Werke (leicht gek?rzt)" nach Ibbenb?ren. Die Premiere des St?ckes, das seit Ende der 80er in den USA und Gro?britannien Erfolge feierte, brachte selbst die spr?den Westfalen zum Feiern. Mit Standing-Ovations entlie? das Publikum die drei Schauspieler Udo Eickelmann (Chris), Hans G?nter-Schwarze-Be?ler (Jon) und Robert K?tter (Peter) sowie Regisseur Jens Dierkes. Ihnen war das Kunstst?ck gelungen, fast alle St?cke des wohl bekanntesten englischsprachigen Dramatikers in vergleichsweise kurzer Zeit zu pr?sentieren, nebenbei atemberaubend schnell die Kost?me zu wechseln und alle N?rgler davon zu ?berzeugen, dass die Welt Shakespeares durchaus nicht langweilig und angestaubt sein muss.

Shakespeare-Kenner werden angesichts einer Vielzahl von manchmal geradezu absurd anmutenden Verfremdungen gelegentlich geglaubt haben, im falschen Film zu sitzen. Da will Julia ihren Romeo - anders als in der literarischen Vorlage - gar nicht k?ssen. Titus Andronicus wird kurzerhand zur Kochsendung umgestaltet. Und s?mtliche K?nigsdramen gehen in Form eines Fu?ballspiels ?ber die B?hne.

Doch von vorne. Bereits in der Einleitung, der Vorstellung des gro?en Literaten, hat Chris, der angebliche Shakespeare-Experte, mit der genauen Biografie des Dramatikers so seine Schwierigkeiten. Schreibt er dem gro?en Briten doch neben einer Vielzahl von Trag?dien und Kom?dien auch das Machwerk "Mein Kampf" sowie den Einmarsch in polnisches Terrain zu. Nach wenigen Minuten konnte das Publikum sicher sein, dass an diesem Abend nicht nur bierernste Monologe und tragische Momente der Weltliteratur zu erwarten waren. Begonnen wurde mit der wohl ber?hmtesten und vielleicht auch beliebtesten Trag?die Shakespeares: "Romeo und Julia". Hier beeindruckte besonders Udo Eickelmann in der Rolle der Julia, einer garstigen Zicke, die ihren Romeo zum Narren h?lt und ihn um nichts in der Welt k?ssen will. Romeo, wunderbar als liebeskranker Trottel mit viel zu gro?er Elvis-Per?cke gespielt von Robert K?tter, gibt aber nicht auf und schafft es schlie?lich, seiner Geliebten - allerdings im wahrsten Sinne des Wortes ?ber deren Leiche - einen Kuss abzuringen. Der Tod der beiden Liebenden wird nicht etwa von einer traurigen Zeremonie begleitet, nein, ein Rockkonzert mit Gummigitarren fegt ?ber die B?hne.

?berhaupt haben sich die "Erfinder" von "Shakespeares s?mtliche Werke (leicht gek?rzt)", Adam Long, Daniel Singer und Jess Winfield von der "Reduced Shakespeare Company", viele Gedanken dar?ber gemacht, wie man den ?ber 400 Jahre alten Stoff dem Publikum des ausgehenden 20. Jahrhunderts zug?nglich machen kann. So nahm Titus Andronicus den Platz von Alfred Biolek ein und bittet zum "blutigen Sch?nder im Schlafrock". Die Kom?dien wurden gnadenlos zusammengestrichen. "Shakespeare hat doch eh nur geklaut", wurde das Publikum belehrt. "Er hat die zwei, drei witzigsten Gags seiner Zeit aufgegriffen und in seine 16 Kom?dien gepackt." Aus diesem Grund wird aus 16 St?cken auch nur eins: "Der Liebesdampfer nach Verona". Auf wenige Minuten wurden die Inhalte gek?rzt und verlangten h?chste Konzentration von Schauspielern wie Zuschauern, die den oft verwirrenden Textpassagen gebannt folgten. Hier zeigte das sonst so souver?ne Ensemble leichte Schw?chen, sprach zu schnell und mithin undeutlich, so dass das Publikum oftmals M?he hatte, alles zu verstehen. Diese kleineren Minuspunkte glichen die drei Akteure durch ihr komisches Talent, eine gro?e Verwandlungsgabe und ihren enormen Einsatz mehr als aus.

Schnell zeigte sich, dass Regisseur Jens Dierkes die Rollen geradezu meisterhaft besetzt hatte. So sorgte Udo Eickelmann, der alle tragischen Frauengestalten verk?rperte, immer wieder f?r Begeisterung. Auch bei der Dame in der ersten Reihe, die darunter zu leiden hatte, dass Chris, alias Udo Eickelmann, von der Vorstellung beseelt war, dass alle h?ssliche Per?cken tragende Heldinnen sich im Todeskampf zu ?bergeben pflegen. Wie dem auch sei, die Dame hielt den gelegentlichen ?belkeitsattacken geradezu heldenhaft stand.

Nach ?ber zwei Stunden, die den Zuschauern solides Sitzfleisch abverlangten, aber Kurzweil und Vergn?gen bescherten, nach Othello vorw?rts, Hamlet r?ckw?rts und Romeo und Julia total verdreht, durfte das Publikum in dem Bewusstsein nach Hause gehen, alle Werke des Meisters - so behaupten es die Autoren - gesehen zu haben. Nicht-Kenner hatten zwar mitunter ihre M?he, alle St?cke in dem Sprachen-, Zitate- und Kost?m-Wirrwarr wiederzuentdecken. Dem Spa? tat das aber keinen Abbruch.