Übergang vom Kind zum Erwachsenen. „Disco Pigs" hatte in der Schauburg Premiere

Ibbenbürener Volkszeitung vom 07.11.2009

Ibbenbüren. Von Wilm Froese. Pappkartons füllen die Bühne der Schauburg, Berge von Wohlstandsmüll, aber eben Müll. In dieser Kulisse lässt das Quasi So-Theater in dem Stück „Disco Pigs" des Iren Enda Walsh, das am Donnerstagabend Premiere feierte, zwei verlorene junge Menschen den Übergang vom Kind zum Erwachsenen erleben.
Der Junge und das Mädchen, die sich „Pig" und „Runt" nennen, wie das starke Schwein und das schwächste Ferkel eines Wurfes, sind Nachbarskinder und auch noch im gleichen Augenblick im gleichen Kreißsaal in Cork geboren. So waren sie ihr ganzes Leben bis zu diesem 17. Geburtstag voll und ausschließlich aufeinander bezogen. Die restliche Welt brauchten sie nicht, „nur Dein Zimmer, mein Zimmer und die Disco".
An ihrem Geburtstag scheinen sie noch einmal ihr Leben durchspielen zu wollen. Den ersten Blick gleich nach der Geburt, die Kinderspiele, die Träumereien von einer auf sie zugeschnittenen perfekt gestylten Welt. Doch der Weg dorthin geht, und nicht nur im Traum, über Zerstörung, Gewalt, Alkoholexzesse und Tanz bis zur Besinnungslosigkeit. Die Musik dazu kann Pig ganz nach Belieben ein- und ausschalten, meist „Holy Virgin", eine Coverversion des im Titel besser passenden „Fata Morgana" aus den 60ern.
So toben Christopher Chambers und Monique Mulder durch die Bühnenlandschaft und lassen Pig und Runt sich selbst in diese „Weißt Du noch?"-Rückblenden hineinspielen, lange, gehetzte Gespräche und Monologe führen in einer speziellen Ausdrucksweise aus Babywörtern, eigenen Schöpfungen und Zutaten aus dem Wörterbuch der Jugendsprache. Sehr schade, dass die Feinheiten, oft sogar auch die Handlung selbst, untergingen in der fast unverständlichen Sprechweise der beiden Darsteller, selbst in den dicht gespielten ruhigen Momenten.
Das ist ein echtes Problem von Jugendstücken. Gute Aussprache ist nicht authentisch genug, der enorme Vorwärtsdrang, die großen dynamischen Sprünge, mit denen Chambers und Mulder das Leben ihrer Personen charakterisieren, verhindert aber, dass das Publikum alles mitbekommt. Dennoch hätte der Regisseur Tobias Schindler, noch 17 Jahre alt wie die Figuren des Stücks, die Entscheidung zugunsten der Verstehbarkeit und also der, zur Premiere leider nur wenigen, Zuschauer treffen müssen.
Das gilt auch für einige der Bilder, die er mit seinem Bühnenpersonal zeichnet. In aller Regel gelingt es ihm aber, die beiden trotz der hinten rechts aufgebauten Leinwand, auf der die Träume und Erinnerungen durch Filme verdeutlicht wurden, zum Zuschauer hin auszurichten. Wie er dabei auch die Silhouetten auf der Bildfläche mit einbezieht, gibt dem Geschehen sogar zusätzliche Dimensionen. Denn wie die Sklaven im Höhlengleichnis des Sokrates halten auch Pig und Runt das, was sie sehen können, für die gesamte Wirklichkeit.
Mag die auch überwiegend farblos sein, wie das Bühnenbild anklingen lässt, so spielt Farbe doch eine größere Rolle, als ihr auf der Bühne eingeräumt wird. „Was ist die Farbe der Liebe?" fragt Runt, und Pig vermutet „Blau?" Ausgerechnet an der Liebe stirbt diese Zwei-Menschen-Wirklichkeit. Während Pig mit dem Wort und dem Gefühl noch nichts anfangen kann, wendet Runt sich anderen jungen Männern zu.
Das Ende ist dann, so gewalttätig, wie es in den Träumen immer war und in der Lebensart der beiden vorweggenommen scheint. Das blieb zu Recht in der Form zurückhaltend. So ersparten der junge Regisseur und die beiden Darsteller dem Publikum zusätzliche Irritationen und ernteten freundlichen Applaus.