Sitzfleisch zahlt sich aus: Darsteller ?berzeugen

Ibbenb?rener Volkszeitung vom 21. September 2006

Marianne Laun. Ibbenb?ren. "Was unser seelisches Gleichgewicht erh?lt, ist - Tradition!" So spricht Tevje, der Milchmann aus Anatevka, ?berzeugter Jude und Vater von f?nf T?chtern, im Brustton der ?berzeugung. Doch was des einen, n?mlich Tevjes, Gl?ck und Lebenssinn, ist des anderen Last und Frust. Und mit genau diesem Problem setzt sich das weltbekannte Musical "Anatevka" auseinander, das auf der Geschichte "Tewje, der Milchmann" von Scholem Alejchem basiert, einem j?dischen Rabbi, der gegen Ende des 19. Jahrhunderts die sozialen, ?konomischen und kulturellen Umbr?che der Juden in Osteuropa zu verdeutlichen suchte. Aus der Vorlage machten Joseph Stein, Jerry Bock und Sheldon Harnick 1964 mit dem Musical "Fiddler on the roof" (Fiedler auf dem Dach) ein St?ck f?r die B?hne, das seit seiner Entstehung mit seiner Geschichte und vor allem mit seinen Liedern das Publikum immer wieder begeistert hat.

Genauso war es am Mittwochabend bei der Premiere der neuesten Gemeinschaftsproduktion des Quasi So, dem Theater der VHS, und der St?dtischen Musikschule Ibbenb?ren, als ?ber 150 Mitwirkende unter der Federf?hrung von Ulla Dorenkamp (Inszenierung) und Rolf Jan?en-M?ller (Musikalische Leitung) ihrem Publikum im sehr gut besuchten Ibbenb?rener B?rgerhaus einen mitrei?enden Abend boten.

Dorenkamps und Janssen-M?llers zugegebenerma?en recht lange Version des noch l?ngeren Originals verlangte zwar ein wenig "Sitzfleisch", sorgte aber aufgrund der sehr sorgf?ltigen Inszenierung und der tollen Leistungen der Darsteller von Anfang bis Ende f?r beste Unterhaltung und allseits deutlich vernehmbare Anerkennung. Die Auff?hrung war in jeder Hinsicht professionell, von besonderer Qualit?t, ja geradezu monumental.

Bei der Besetzung der Rollen hat man mit viel Gesp?r f?r feine Nuancen eine sehr ?berzeugende Wahl getroffen. Dieter M?ller allerdings gab mit seiner Darstellung des gutm?tigen und verst?ndnisvollen, aber auch bauernschlauen Milchmannes einen leider oft schwer zu verstehenden Tevje ab. In den gesungenen Szenen mit dem an seiner Tochter Zeitel interessierten Fleischer Lazar sah sich M?ller zudem in Bedr?ngnis angesichts der kr?ftigen und volumin?sen Stimme Gregor Loebels. Dennoch lie? er die Zuschauer mehr als einmal schmunzeln, wenn er mit seinem Schicksal haderte und in Monologen das F?r und Wider bestimmter Gegebenheiten im Allgemeinen und auch im Besonderen (z.B. bez?glich des so gar nicht mit der Tradition ?bereinstimmenden Verhaltens seiner ?ltesten T?chter und ihrer Gattenwahl) besprach. Und wer h?tte besser in die Rolle seiner Ehefrau Golde gepasst als die versierte Ingeborg Grau, die die resolute und praktisch denkende Mutter von f?nf T?chtern temperamentvoll und - wenn es das Skript verlangte - auch zur?ckhaltend interpretierte. Ebenso einnehmend wie die Eltern waren auch die T?chter. Kathrin Borchelt als Zeitel, Anna Doris Capitelli als Hodel und Annika Esslage als Chava gewannen mit Charme und K?nnen die Zuschauer sehr schnell f?r sich, besonders auch mit ihren Liedern, allen voran mit dem hoffnungsvoll an die Heiratsvermittlerin (witzig: Marjorie Hagenbeck) gerichtete und gemeinsam gesungenen Lied "Jente, o Jente".

Das Ensemble der Darsteller zog mit einer insgesamt hervorragenden Leistung das Publikum in seinen Bann. Bemerkenswert ist dabei auch die exzellente Besetzung so genannter Nebenrollen wie die der fantastischen "Traumfrauen" Kristina Leugers (Lazars verstorbene erste Frau) und Eva Bachmann (Goldes Gro?mutter) und auch des Wachtmeisters (Peter Tombrink). Alle drei lieferten mit einer umwerfenden Interpretation ihrer Rollenfiguren von feinster Mimik ?ber K?rpersprache bis in die letzte Muskelfaser und mit exakt passendem Gesang bzw. Sprechweise wahre Glanzleistungen ab.

Doch was w?re ein Musical ohne Musik? Hier hatte neben Jan?en-M?ller auch Eva Bachmann, die f?r die Choreinstudierung verantwortlich zeichnet, gro?en Anteil an einer au?erordentlich eindrucksvollen Darbietung. Das Orchester spielte unter der exakten und energischen Leitung Jan?en-M?llers untadelig, gleichzeitig mit Herz und viel Elan, so dass das Publikum unwillk?rlich mitgerissen wurde. Der Chor tat dann ein ?briges. So viele kraftvolle Stimmen erzeugten eine wunderbare Klangf?lle, die beispielsweise die Hochzeits- oder auch die Gasthausszene umso eindrucksvoller machte. Ebenso eindrucksvoll wie Musik und Darstellung sind in dieser Inszenierung B?hnenbild und Kost?me. Mit schlichten, aber sehr wirkungsvollen Aufbauten in gedeckten Farben erzeugt man einerseits den Eindruck eines ?rmlichen Umfeldes, aber gleichzeitig auch eine ausgezeichnete Kulisse f?r die farbenpr?chtigen Kost?me, bei denen man auf kleinste Details geachtet hat. Bei der gro?en Zahl der Akteure entstehen so geradezu pr?chtige und sehr eindrucksvolle B?hnenbilder, die zum Teil wie alte Gem?lde wirken. Zu dem hervorragenden Gesamteindruck tragen auch eine ausgefeilte Technik mitsamt Beleuchtung und Ton bei.

So war es nicht verwunderlich, dass trotz der fortgeschrittenen Stunde die hellauf begeisterten Zuschauer die Darsteller immer wieder auf die B?hne riefen, um sie mit stehenden Ovationen zu belohnen. Erst das eingeschaltete Deckenlicht konnte das Publikum dazu bewegen, den Heimweg anzutreten.