Nach Seelenstriptease am Abgrund verliebt

Ibbenb?rener Volkszeitung vom 21. Mai 2005

Marianne Laun. Ibbenb?ren. Der Zuschauer sitzt vor einer nach hinten ansteigenden, grau ausgelegten B?hne und schaut in einen scheinbar endlos weiten Himmel in diversen Blaut?nen. Es ist eben der Himmel, in den auch zwei lebensm?de junge Leute blicken, wenn sie oben auf dem Felsgestein des 600 Meter aufragenden "Predigtstuhl" am Geirangerfjord in Norwegen stehen und beabsichtigen, zu zweit ihrem Leben ein Ende zu setzen. Auf diesem Plateau ist zun?chst niemand. Die beiden Akteure befinden sich rechts und links der Schr?ge vor riesigen Leinw?nden und kommunizieren per Computer miteinander.

Das ist der ungew?hnliche Anfang eines St?ckes um die Widerspr?che zwischen L?ge und Wahrheit, zwischen falschen und echten Gef?hlen und zwischen digitaler Erlebniswelt und sozialer Wirklichkeit, um die sich alles in der neuen Produktion des Quasi So-Theaters der VHS dreht. Bei der Premiere von "norway.today" von Igor Bauersima im Foyer des Ibbenb?rener B?rgerhauses waren alle Pl?tze besetzt, als Verena L?cke und Paul Hohenhaus unter der Regie von Peter Tombrink die Geschichte um die coole und todesmutige Julie und den unsicheren und gelangweilten August in beeindruckender Weise pr?sentierten.

Wer in "norway.today" ein ernstes oder gar belehrendes St?ck oder klare L?sungsvorschl?ge erwartet, der wird entt?uscht. W?hrend sich Julie und August noch im Chatroom miteinander bekannt machen, und ihre Charaktere f?r den Zuschauer erkennbar werden, zeigt sich bereits die komische Seite des St?cks, das in erster Linie an junge Leute gerichtet ist. Und L?cke und Hohenhaus arbeiten die Pointen gut heraus, zum Beispiel wenn August erkl?rt, er habe bereits als Neugeborenes einen Selbstmordversuch unternommen: er habe sich aus dem Bett gest?rzt. Oder wenn Julie, nach ihrem Aussehen gefragt, antwortet, sie sehe aus "wie Natalie Wood vor dem Ertrinken".

So werden Widerspr?che und Spannungen deutlich, bis sich beide - ausgestattet mit Zelt, ein wenig Proviant, einem CD-Player und einer Videokamera - schlie?lich in der Mitte der B?hne auf dem Hochplateau in Norwegen wieder finden, um dem Leben, in dem "nichts Echtes" passiert, in dem alles nur "fake" ist, zu entrinnen. Und hier geht es richtig zur Sache. Die ganze Palette der in einer solchen Ausnahmesituation m?glichen Emotionen wird durchgespielt, von Todesangst und Wut bis zu Sehnsucht und Z?rtlichkeit. Und beide Figuren offenbaren in erotischen, witzigen und auch vulg?ren Szenen ihr Inneres, machen quasi einen Seelen-Striptease, w?hrend sie debattieren und sich auseinander setzen und ein Abschiedsvideo f?r Freunde und Verwandte zu drehen versuchen. Sie verlieben sich dabei ineinander und vor der grandiosen Naturkulisse kommt ihnen der Wunsch zu sterben abhanden (August:"Es k?nnte sein, dass wir soeben von einem Gl?ck getroffen wurden, von dem wir uns nicht so schnell erholen werden."). Obwohl die Zukunft noch unklar ist, wollen beide nur noch "weg hier". Sowohl L?cke als auch Hohenhaus bestachen das Premierenpublikum mit der fast schon professionellen Beherrschung der sehr umfangreichen Texte und der zumeist durchaus glaubw?rdigen Umsetzung der Rollen. Selbst wenn L?cke hin und wieder Gefahr lief ein wenig zu ?bertreiben, so ?berzeugten beide Schauspieler mit einer hervorragenden Leistung. Auch der Einsatz von Audio- und Videotechniken zeugt in dieser Inszenierung von hoher Professionalit?t. In interessanter Weise werden Film und Theater miteinander verbunden, so dass zusammen mit der sehr guten und ausgefeilten Lichttechnik, den authentischen und farbenfrohen Kost?men und dem perfekten Make-up ein bestechendes Ergebnis erzielt wird.