Kindchen wird Frau - Henriette Mudrack begeisterte als Nora

Ibbenb?rener Volkszeitung vom 20. November 1998

Wilm Froese. Ibbenb?ren. Ein fast unglaubliches Deb?t einer Schauspielerin am Quasi So-Theater konnte man am Mittwoch abend in der Alten Sparkasse erleben. In der Titelrolle von Henrik Ibsens Schauspiel "Nora oder Ein Puppenheim" fesselte Henriette Mudrack die Zuschauer fast vier Stunden lang durch eine facettenreiche, durchg?ngig glaubhafte und technisch brillante Personendarstellung.

Der im St?ck so abrupte Umbruch vom verheirateten "Kindchen" zur selbstbewussten und ?berlegenen Frau gelang ihr deshalb, weil von Anfang an alles und noch mehr in ihrem Spiel angelegt war. Und ihr Aussehen macht auch die Reaktionen der M?nner in ihrer Umgebung verst?ndlich. Deren Rollen waren ebenfalls gut besetzt. Michael Kneisel hatte zwar M?he, Noras Gatten Torvald Helmer gen?gend "fies" darzustellen, brachte aber Liebe und Ehrpusseligkeit, Berufsrolle und Gattenrolle geschickt zur Deckung.

Dem Hausfreund Dr. Rank gibt Udo Eickelmann als von Tragik umflorten Bonvivant, eine einleuchtende und durchgehaltene Mischung. Klaus Peter Lefmann ist als Krogstad anf?nglich so kalt, dass man die dahinterstehende Unsicherheit und Existenzangst nicht glauben m?chte, doch der Umschwung, den die Liebe  einer Frau hervorruft, ist stimmig.
Diese Frau, Noras Freundin Christine, gibt Martina Brune, vielleicht ein wenig zu bedr?ckt, als eine Frau
voller kaschierter Lebensangst, die ihr Selbstwertgef?hl ausschlie?lich aus der treuen Erf?llung von irgendwelchen Pflichten bezieht.
Trotz dieser f?r ein Amateurtheater ausgesprochen guten Schauspielerleistungen, an denen der Regisseur nat?rlich gro?en Anteil hat, waren besonders die letzten 25 Minuten der Auff?hrung von qu?lender Langatmigkeit. Der Regisseur Jens Dierkes hatte bei seinem Deb?t als Spielleiter zu viel Respekt vor den Worten des Dichters oder zu wenig Erfahrung und Hilfe f?r seine Aufgabe. Es fehlte an Mut, all das wegzuk?rzen, womit Ibsen vor 120 Jahren darauf hinweisen musste, dass eine in tausenden Familien gelebte Rollenverteilung keineswegs richtig sein muss. Heute wirken die Wiederholungen, die Erl?uterungen, die gesellschaftskritischen Statements banal.

Durch gezielte Striche h?tte die psychologische Dichte, die Dierkes in der Behandlung der Rollen ja herausarbeitet, sch?rfer hervortreten k?nnen. Und der Aspekt, dass die Sprengung der traditionellen Frauenrolle auch die von Mann und Kindern (ganz s?? die drei Kleinen) freier werden l?sst, dass Ibsens Emanzipation auf menschliche, nicht auf weibliche Freiheit zielt, w?re nicht so untergegangen. Soll das albern wirkende Gehabe des Hausm?dchens etwa darauf hinweisen?

Diese Rolle dient dazu, den Ablauf zu straffen. Statt dessen bleiben Leerstellen, die nicht nur die Zuschauer st?ren, sondern auch die dann hilflosen Schauspieler. Die handwerklichen Fehler in einer von der gedanklichen Konzeption und der Personenf?hrung wirklich gelungenen Arbeit sind umso mehr zu bedauern, als vom B?hnenbild unter Einbeziehung des Treppenturms bis zum Programmheft auch das Drumherum durchaus mit den professionellen Tourneetheatern mithalten kann. Der lange Premierenbeifall ist also bestimmt verdient.