Was für ein Theater - „Heiße“ Wiedereröffnung der Ibbenbürener Schauburg

Ibbenbürener Volkszeitung vom 30. September 2011

Ibbenbüren. Kondome stecken in dem drallen Dekolleté der Frau mit dem roten, extrem kurzen, eng geschnürten Kleid. Sie lehnt an der Häuserwand, kaut Kaugummi, winkelt ein Bein an. „Hey du dreckige Tussi, hau ab! Das ist mein Revier“, keift sie eine andere „leichte Dame“ an, die an der Wand gegenüber steht. „Ach, dich will doch keiner sehen“, entgegnet die patzig. Ein junger Mann schlendert arglos vorbei. Die Lockige visiert ihn an: „Hey Süßer, wie wärs mit uns zweien?“ „Ne, danke“, sagt er verlegen. Kein Wunder. Ist er doch nicht in der Herbertstraße in Hamburg. Sondern im Noltengängesken in Ibbenbüren.

Durch dieses Gässchen im Herzen der Stadt wehte am Mittwochabend aber dank der beiden „Damen“ ein Hauch von Rotlichtviertel. Es war fast so schrill, so verrucht, so rau, so sexy, so sündig wie die Reeperbahn auf St. Pauli. Aber: Auf der Reeperbahn ist alles echt, im Noltengängesken nur Schauspiel. Der Mini-Kiez vor der Schauburg war das Intro zur Einstimmung auf das St.-Pauli-Musical des Quasi So-Theaters „Heiße Ecke“, das vorgestern im renovierten und obendrein ausverkauften Haus aufgeführt wurde.

Das Stück ist eine Wiederaufnahme. Eine Reeperbahn in Ibbenbüren gab es hingegen noch nie. Daher war die Neugierde groß, was in der schmalen Fußgängerzone so passieren würde. Und die Gäste des Abends waren noch gespannter, wie es im Inneren der Schauburg aussah. Das Rotlicht musste sich dabei zunächst mit einer Nebenrolle begnügen. Die Renovierung spielte erst mal die Hauptrolle.

Als alle Zuschauer auf den neuen - nachtblauen - Sitzpolstern und in der neu hergerichteten gemütlichen Lounge auf der Empore Platz genommen haben, begrüßte sie Dr. Marc Schrameyer. „Wir haben das Haus auf links gekrempelt“, sagte der erste Vorsitzende des Quasi-So-Fördervereins. „Die Empore ist neu, die Tonanlage ist neu, die Bühne ist neu und wir haben vor allem etwas für Sie getan - die Polster sind neu.“

Das Publikum applaudierte begeistert. „So etwas geht nicht ohne finanzielle Hilfe“, sagte Schrameyer und bat Bernhard Hembrock, erster stellvertretender Landrat des Kreises Steinfurt, auf die Bühne. Der hatte einen Scheck dabei, eine finanzielle Spritze in Höhe von 21.126 Euro aus der Kasse der gemeinnützigen Gesellschaft des Kreises. „Als ich reinkam, habe ich gedacht, was für ein Theater“, sagte er. „Ich glaube, dass wir hier etwas geschaffen haben, was Ibbenbüren braucht, was der Kreis, was die ganze Region braucht.“

Sein Vortrag wurde plötzlich durch lautes Lachen unterbrochen. Zwei Straßenmädchen in Lack und Leder näherten sich den Herren, schmiegten sich an sie und zogen sie schließlich von der Bühne. Ein liebevoller Hinweis, dass der offizielle Teil nicht so lange dauern und die Vorführung endlich beginnen sollte. Hembrock ließ es sich dennoch nicht nehmen doch noch kurz auf Folgendes hinzuweisen: „Die 21.126 Euro sind ein Betrag, den Quasi So verdient hat.“

Ebenso wie den sehr lang anhaltenden Applaus, den die Schauspieler ernteten, als für sie das Rotlicht erlosch. Es ist verblüffend, was aus der alten Schauburg geworden ist und was in ihr gezeigt wird. Die Laiendarsteller schlüpften innerhalb von kürzester Zeit in die verschiedensten Rollen, begeisterten mit tollen, klaren Stimmen, Ausdrucksstärke sowie ganz viel Witz und Dynamik.