"Das süße Gefühl von Freiheit"

Ibbenbürener Volkszeitung am 26. April 2014

Von Brigitte Striehn

Goethe? Ist das nicht der Langweiler, den Deutschlehrer lieben und ihre Schüler meiden? Dass die Werke des großen Dichters zeitlos sind und jungen Menschen Spannung und Humor bieten, haben am Donnerstag mehr als 100 Zuschauer bei einer gelungenen Premiere in der Schauburg erlebt. Das Jugend-Ensemble des Quasi-So-Theaters zeigt derzeit eine Bühnenfassung des Briefromans „Die Leiden des jungen Werther“. Regisseur Tobias Schindler hat eine poetische und moderne Adaption erarbeitet, die äußerst sehenswert ist.
Den Darstellern steht eine Spielstätte zur Verfügung, die verschiedene Formen der Inszenierung zulässt. Das gemeinsam erarbeitete Bühnenbild bot den passenden Rahmen für das Spiel auf drei Ebenen und schuf mit zusätzlichen Requisiten viele Möglichkeiten der Interpretation.
Eine „kuschelige Atmosphäre“ entstand durch schöne Einfälle des Regisseurs. „Sound of Silence“, Unmengen von Kissen und ein Mond am Nachthimmel verbreiteten die gewünschte romantische Stimmung. Lichteffekte, passende Kostüme und sorgfältig ausgesuchte Musikstücke verstärkten das Gefühl, sich in eine vergangene Zeit zu versetzen und dennoch die Gegenwart nicht aus den Augen zu verlieren.
Tobias Schindler nimmt in seiner Aufführung die Figuren ernst. Er karikiert sie nicht, sondern konzentriert sich auf den 1774 erschienenen Originaltext. Schindler ist es gelungen, die Sinnlichkeit der Sprache Goethes ohne übertriebene Modernisierung für ein junges Publikum erlebbar zu machen. Er hat das Sprach- und Spielpotenzial der Darsteller gut erkannt und führte sie zu einer gelungenen Auslegung eines unvergänglichen Stoffes. Kleinere Versprecher lassen sich dem Premierenfieber zuschreiben, sie trübten den positiven Gesamteindruck kaum.
Jule Hopkins schaffte es in ihrer ersten Hauptrolle, Lottes zwiespältige Gefühle überzeugend auszudrücken. Mütterliche Verhaltensweisen im Zusammenspiel mit ihren Schwestern Luisa (Christina Lohmann) und Sophie (Fenna Truschinsky) gelangen ihr ebenso gut, wie die Liebe zu ihrem Ehemann Albert und die Schwärmerei für den Nebenbuhler. Robert Ratert zeigte sich in der Rolle des Werthers verfangen in Selbstverliebtheit, gepaart mit jugendlichem Ungestüm und zeitweiser Melancholie. Albert (Moritz Stöttner) versteckte seine Verletzlichkeit hinter äußerer Harmonie.
Dass unglückliche Liebe kein Privileg höherer Stände ist, zeigte die Geschichte des Bauernburschen (Jens Heeger), dem seine verwitwete Herrin (Imke Strothmann) gar wohl gefiel. Die enorme Wandlungsfähigkeit von Carmen Lucy Hesselmann, Kevin Cichy, Peter Tombrink und Marjorie Hagenbeck eröffnete der Regie Möglichkeiten, die Handlung des Romans bühnenwirksam umzuwandeln und viele Figuren zum Leben zu erwecken.
Eine besonders gelungene Idee war die Einspielung von Gedanken der Hauptdarsteller (Leona Egelkamp, Janina Plantholt und Lars von Kiedrowski-Michel) in einer gesonderten Ebene.
„Die Leiden des jungen Werther“ ist aufregendes junges Theater. Dafür gibt es nur eine Empfehlung: Hingehen und Staunen. Weitere Vorstellungen in der Schauburg sind am 26. und 30. April sowie am 2. und 4. Mai jeweils um 20 Uhr.