Ibbenbürener Quasi So-Theater führt „Besuch der alten Dame“ auf

Ibbenbürener Volkszeitung vom 06. März 2009

Wilm Froese. Ibbenbüren. Eine klassische Tragödie und eine Art Komödie hat Friedrich Dürrenmatt vor gut 50 Jahren in „Der Besuch der alten Dame“ ineinander verwoben. Die Inszenierung des Quasi-so Theaters, die am Mittwoch abend in der Schauburg mit viel verdientem Beifall Premiere feierte, arbeitete den von antiker Unbarmherzigkeit gekennzeichneten Handlungsstrang um Schuld, Rache und Sühne ebenso deutlich heraus wie das lächerliche Versteckspiel der kollektiven Gier hinter sozialen Verbrämungen.

Die reich gewordene alte Dame verspricht ihrem Heimatort und jedem einzelnen Bürger eine Unmenge Geld, unter der Bedingung, dass ihr Ex-Geliebter getötet wird. Gnadenlos verfolgt Claire Zachanassian ihr Ziel, sich an dem Kaufmann Alfred Ill zu rächen, der sie einst geschwängert und dann mit bestochenen Zeugen so diffamiert hat, dass sie in die Prostitution getrieben wurde. 

Ill tut das zunächst als längst verjährte Jugendtorheit ab, muss aber schließlich akzeptieren, dass seine Schuld noch nicht getilgt ist. Christel Müller und Hans-Günther Schwarze spielen das Paar, in dem die Dominanz sich so grundlegend umgekehrt hat. Schwarze zeichnet die Entwicklung von der Unangreifbarkeit des alt gewordenen Sonnyboys über Nachdenklichkeit und Angst bis zur Einsicht in die Unausweichlichkeit der Sühne gut nach.

Schwieriger noch ist Christel Müllers Part. Sie bleibt nicht, wie einmal jemand gesagt hat, der rächende „steinerne Gast“, der unbeteiligte Katalysator für die niederen Instinkte der Bürger. In den intimen Gesprächen mit Ill kommen Melancholie und Sehnsucht zum Ausdruck, die Tötung wird zum Liebesakt, der den Geliebten endlich zu ihrem alleinigen „Besitz“ macht. Kalte Rache aus rasender Liebe. Ein großes Kompliment an Christel Müller, die die Vielschichtigkeit, die von Dürrenmatt beschworene Wesensgleichheit mit der Medea des Euripides, stimmig gestaltet.

Solche differenzierten Personenzeichnungen können, vor allem im Amateurtheater, nur gelingen mit einem aufmerksamen Regisseur. Den hat das Quasi-so Theater in Raik Knorscheidt gefunden, einem jungen freien Regisseur mit vielseitigen Erfahrungen. Mutig hat er den ganzen Zuschauerraum mit einer T-förmigen Rampe überbaut, so dass die Besucher sich gelegentlich wie Mitspieler fühlen können oder sollen. Der Claire Zachanassian und ihrem Gefolge schuf er einen angemessenen Beobachtungsposten auf dem Balkon, mit Projektion an die Seitenwände.

Die Bühne selbst ist allerdings etwas zu kleinteilig und umständlich möbliert, vor allem angesichts des alles beherrschenden Sarges für Ill. Dagegen überzeugt sowohl die Herausarbeitung der Schwerpunkte des Stücks wie die Detailarbeit an der Sprachkompetenz der Akteure (davon wird das Theater langfristig profitieren) und an der Ausgestaltung auch der Nebenrollen. Herauszuheben sind da Peter Tombrink als Bürgermeister, Manfred Hagemann als Polizist und Vinzenz-Maria Hoppe in einem Kabinettstückchen als Lehrer.

Aber auch Frank Bülter als Pfarrer, Eckard Kosiek als Maler sowie die Bürgerinnen und Bürger Hannelore Berk, Lena Albrecht, Tobias Schindler, Maria Nauber, Sebastian Benker, Rafael Sendal, Moritz Stöttner und Imke Strothmann fügen sich, auch als Gruppe gut geführt von der Regie, ebenso ein wie das „Gefolge“ Volker Hüntemeyer, Marjorie Hagenbeck und Otis Benning.

Unmerklich verändern sich die Menschen, geben Geld aus, das sie (noch) nicht haben und finden, nach anfänglicher Entrüstung über das unmoralische Angebot, dass sie doch gerade durch die Ermordung Ill Retter der Gerechtigkeit sind. Wie zum Hohn lässt Dürrenmatt sie zum Abschluss eine Parodie auf den ersten Chor der „Antigone“ des Sophokles deklamieren und sich damit zu Schiedsrichtern ihrer eigenen Tat aufschwingen. Keine billigen Parallelen zu Konjunkturprogrammen, keine vereinfachte Moral, gute Leistungen aller Beteiligten: Der Besuch bei dieser Alten Dame lohnt sich nicht nur für Schulklassen.